Romanistik

"Schnee in den Taschen. Deutschland 1963"

Ausstellung in der Universitätsbibliothek

Wie zahllose spanische Gastarbeiter kommt auch ein junger Mann namens Joaquim Puigarnau Anfang der 1960er Jahre nach Deutschland. Seine Reise endet im Bergischen Land, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt und seine Schicksalsgenoss*innen beobachtet und zeichnet. Nach Spanien zurückgekehrt, wird er unter dem Künstlernamen KIM bekannt für seine bissigen Comics. Mit Nieve en los bolsillos, wörtlich übersetzt „Schnee in den Taschen“ (Norma editorial 2018), verfasst er einen autobiographischen Comic-Roman, der auf die Zeit in Deutschland und das Leben der Migrant*innenen damals zurückschaut – auf Erfahrungen von Gastfreundschaft, Freundschaft und Liebe, aber auch Missverständnissen, Gewalt und Heimweh.

Die am 10. Mai um 16 Uhr beginnende Ausstellung der Universitätsbibliothek verknüpft zwei Forschungsschwerpunkte der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften: das Erzählen von Wirklichkeit im Comic (s. DIEGESIS-Sonderheft „Narrating Reality in Comics“, 2019) und das historische Gedächtnis des Spanischen Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur (s. Guernica entre icono y mito : productividad y presencia de memorias colectivas, 2020). Eröffnet wird die Ausstellung mit einer Fachtagung, zu der Wissenschaftler*innen aus Bordeaux, Madrid, Valencia und Rio Gallegos beitragen.

Neben dem Zeichner selbst ist bei der Vernissage unter anderem auch Prof. Dr. Gonzalo Navajas von der University of California (Irvine) anwesend und wird seinen eigenen autobiographischen Roman Comenzar de cero, wörtlich „Von Null anfangen“ (Ediciones Alfar 2021), vorstellen: Mit KIM verbindet ihn, dass beide als Jugendliche dem Barcelona der Franco-Zeit den Rücken kehrten. Während der Weg des einen nach Deutschland führte, wo er seine Ausbildung als Künstler vollendete, gelangte der andere über Frankreich in die USA und wurde zu einem der international sichtbarsten Hispanisten.

Die Ausstellung, die im Rahmen des Spanischen Medienzentrums der Universitätsbibliothek stattfindet, wird gefördert von der Spanischen Botschaft. Der Botschaftsrat für Bildung wird an der Eröffnung teilnehmen.

Plakat als pdf

Ausstellung

„Wie wenn man an einem Faden zieht“ – Ein Interview mit KIM, dem Zeichner Joaquim Puigarnau, anlässlich der Ausstellungseröffnung

 

Du hast diese Frage sicher schon oft gehört, aber hier noch einmal: wie ist diese Graphic Novel entstanden?

Also es gab dieses Comic-Treffen in Angoulème, ich unterhielt mich mit einer Gruppe von Freunden, die Zeichner und Autoren waren, und da war ein Deutscher dabei, ich erzählte ihm, dass ich ein Jahr lang in Deutschland war... und er sagte mir, dass sich dort niemand an diese Leute aus Spanien erinnert, und wie hart sie es gehabt hätten, und dass es doch ein interessanter Stoff für eine Graphic Novel wäre. Und als ich dann nach Barcelona zurückkehrte, rief zufällig ein Freund von damals bei der Redaktion von El Jueves an und fragte, ob ich der Joaquim sei, den er in Deutschland getroffen hatte... beides in derselben Woche! Wir unterhielten uns eine Weile, und ich begann mich an Dinge zu erinnern... Ich sah mir meine Zeichnungen von damals wieder an, die ich aufbewahrt hatte, die jetzt am Ende des Buches stehen, und nach und nach begann ich mit dem Text und stürzte mich in die Geschichte.

Gab es Dinge, an die Du Dich erst während des Schreibens erinnert hast?

Ich fing an, mich an die Figuren zu erinnern... es ist, wie wenn man an einem Faden zieht, es kommt erst ein Teil aus dem Knäuel heraus und nach und nach alles… ich habe auch viel recherchiert, das war vielleicht die Arbeit eines Jahres. Das Internet hilft dabei sehr... ich habe auch das Heim gesucht und konnte es nicht finden, aber ich erinnere mich an alle, die dort waren. Nun, ich erinnerte mich an alles, was ich damals hatte... die Kleidung, die ich anhatte... am Ende gibt es eine Zeichnung, auf der ich ein bunt kariertes Hemd trage. Als ich dann meine Erlebnisse erzählte, wurde mir klar, dass das Buch mit meiner Geschichte alleine unvollständig sein würde. Also kam ich auf die Idee, die Geschichte von einigen der anderen zu schreiben. Und ich dachte, gut, das kann ich erklären, und ich begann mich an Figuren zu erinnern, die dort angekommen waren und die sehr interessante Menschen waren, wie dieser Junge, der aus dem Militärdienst desertiert hatte, weil er in Marokko auf die Rebellen schießen musste. All das ist wahr, denn ich habe nichts hineingeschrieben, was nicht wirklich passiert ist; auch wenn ich einige der Geschichten nicht selbst erlebt habe, sondern jemand anderes.

Wie haben denn die deutschen Leser bisher auf dieses Werk reagiert?

Es gab eine Präsentation in Deutschland, aber ich weiß nicht, wie viel in diesem Land darüber gesprochen wird, und vielleicht hatte es in Frankreich mehr Wirkung, weil es auch in Frankreich veröffentlicht wurde, der Verkauf gut anlief und viele Leute daran interessiert waren, mit mir zu sprechen... Die Sache ist die, dass der Verlag, der das Buch in Frankreich veröffentlicht hat, Konkurs machte, so dass das gesamte Material beschlagnahmt wurde und die Bücher nach drei Monaten vom Markt verschwanden, so dass auch die ganze Diskussion mit den Lesern zum Stillstand kam.

Mit den Studierenden haben wir viel über den Stil der Zeichnungen, den Gebrauch der Graustufen gesprochen, die so farbig wirken…

Diese Nuancen, von denen ich denke, dass sie vielleicht auf die Erinnerung und das Schwarzweißkino zurückzuführen sind... Ich mag diese alten Filme wirklich sehr. Die letzte Graphic Novel, die ich jetzt abgeschlossen habe und die bald herauskommt, hat Farbe: Ich habe viel mehr daran gearbeitet, weil Farbe sehr schwer zu machen ist. Es ist die Geschichte von Joseph Fouché, einem ziemlich bösen Zeitgenossen von Napoleon, der friedlich in seinem Bett gestorben ist... sehr unterhaltsam und sehr glaubwürdig. Ich las seine Biografie, die von Stephan Zweig, zur Zeit der Pandemie... Ich blieb im Dorf allein und ich hatte dieses Buch, das meinem Vater gehört hatte, und ich las es und es gefiel mir so gut, dass ich dachte, das könnte eine fantastische Graphic Novel werden, und ich setzte mich dran. Das Problem waren allerdings die Kostüme, die Paläste ... all das war eine sehr schwere Arbeit, so dass ich am Ende ein bisschen müde war.

Was ist Deine Botschaft an unsere Studierenden, insbesondere an diejenigen, die selbst kreativ sein wollen oder sogar selbst Comics zeichnen?

Ich würde immer sagen: Wenn sie etwas haben, das sie wirklich mögen, sollten sie daran arbeiten. So bin ich selbst dazu gekommen, dass ich Graphic Novels mache und Dinge von mir nach Außen kehre, die die in einem Comic wahrscheinlich nicht zum Vorschein gekommen wären. Das Zeichnen ist eine fantastische Art und Weise, sein Inneres zu erzählen und mit Menschen in Kontakt zu treten... Ich weiß, dass es junge Frauen und Männer gibt, die Graphic Novels machen, um ihre Probleme zu erzählen... und die Leute reden mit ihnen und stellen ihnen Fragen, und ich denke, das ist eine sehr gute Art mit diesen Problemen umzugehen. Man muss auch nicht besonders gut zeichnen können für eine Graphic Novel: es genügen ganz einfache Zeichnungen, um eine fantastische Geschichte zu erzählen.

Matei Chihaia: “Es como tirar de un hilo” − Entrevista con KIM con motivo de la exposición Nieve en los bolsillos. Alemania 1963”, Hispanorama n°181, 41 – 43.

Veranstaltungsreihe España interseccional

Spanisches Medienzentrum der Universitätsbibliothek der Bergischen Universität Wuppertal

 

Entrevista en Hispanorama (181, 2023)

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